1.000 Kilometer zu Fuß auf der Via Francigena

15. März 2025. Es geht los. Ist das wirklich wahr? Laufe ich tatsächlich gerade in Aosta los, folge den Markierungen dort entlang, wohin sie mich führen, und habe alles, was ich brauche, auf dem Rücken dabei? 

Ja, ich mache das tatsächlich! Heute startet mein Pilgerweg auf der Via Francigena von Aosta nach Rom. Eintausend Kilometer liegen vor mir – eine Strecke, die beängstigend klingt. Geprägt von sehr unterschiedlichen Landschaften, Geschichten, Lebensweisen und Spezialitäten. 

Buon cammino!

Warum laufe ich diesen Weg?

  • Ich möchte lernen zu vertrauen – vor allem in mich selbst, aber auch in das Leben und die Menschen. Zugegebenermaßen fällt es mir sehr schwer, keine Kontrolle darüber zu haben, was auf mich zukommt. Auf einem Pilgerweg muss man zwangsweise die Kontrolle abgeben.

 

  • Ein einfaches Leben, zurück zum Ursprung des Mensch-Seins. Der Fokus liegt auf den Grundbedürfnissen: Essen, Trinken, Schlafen, Bewegung und Erholung. Ich fühle mich stark mit meinem Körper und meiner Seele verbunden. Dadurch ist auch das Verbundensein zu anderen Menschen und meiner Umgebung möglich. 

 

  • Mich selbst herausfordern. Bin ich in der Lage, solch‘ eine lange Strecke für mehrere Wochen allein zu bewältigen? Kann ich schwierige Situationen meistern?

 

  • Lernen, Hilfe anzunehmen. Es werden Momente kommen, in denen ich Hilfe brauche. Es fällt mir schwer, auf andere angewiesen zu sein oder „Schwächen“ zu haben. Die Erfahrungen auf dem Weg sollen mir dabei helfen, diese Situationen zu erleben und dabei zu erkennen, dass man auch mal Hilfe in Anspruch nehmen darf. 

Was ist typisch auf dem Abschnitt der Via Francigena, den ich gelaufen bin?

  • Regionen. Man durchquert verschiedene Regionen Italiens. Dabei bemerkt man schnell, wenn man von einer Region in eine andere gewechselt ist. Jede einzelne hat ihre ganz typischen landschaftlichen Merkmale, genauso wie auch die Städte, Dörfer und Gebäude sehr charakteristisch sind. 

 

  • Tiere & Pflanzen. Unglaublich viele Geckos sonnen sich auf dem Weg oder auf den Steinen am Wegesrand. Außerdem sieht man eine Menge Schafherden, hört den wunderschönen Gesang der Vögel, und leider auch das scharfe Bellen vieler Hunde. Ich war von Mitte März bis Mitte April unterwegs – in dieser Zeit blüht alles frühlingshaft und es liegt ein total angenehmer Duft in der Luft. Unbeschreiblich!

 

  • Landwirtschaft, weite Felder, Wein- und Olivenplantagen, Hügellandschaften, Berge… leider auch stellenweise viel Industrie und gefährliche Straßenabschnitte.

 

  • Italiano! Ohne ein Basiswissen der italienischen Sprache kann es ganz schön schwer werden. In den Pilgerstätten (meist Klöster, Kirchen oder Gemeinden) können die sogenannten hospitaleros meist nur Italienisch sprechen. Mit Englisch kommt man oft nicht sehr weit. Je näher man allerdings Rom kommt, umso mehr wird auch Englisch, Französisch oder Spanisch gesprochen. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass viele in Lucca oder Siena lospilgern – von diesen Städten sind es weniger als 200 km nach Rom. 

Wen habe ich getroffen? Und wie haben diese Begegnungen meinen Weg „beeinflusst“?

Die ersten zweieinhalb Wochen war ich komplett allein unterwegs. In dieser Zeit habe ich lediglich einen anderen Pilger getroffen – und der lief in die entgegengesetzte Richtung.

Ab Lucca waren es auf einmal täglich mindestens fünf bis sechs neue Weggefährten. Die meisten von ihnen kamen aus Italien, Frankreich, den Niederlanden, Australien und den USA; Einzelne von ihnen auch aus Brasilien, Slowakei, Tschechien, Spanien und Island. 

Definitiv nicht zu vergessen sind die hospitaleros. Sie arbeiten als Freiwillige in den Pilgerunterkünften und kommen meist aus ganz Italien. Ihre Warmherzigkeit, Gastfreundschaft und Güte hat mich total überwältigt (positiv!). Sie geben so viel Liebe und Hilfe… und Essen! 😆 Und da sie meist selbst Pilger sind, wissen sie genau, was man braucht.

Was bei all‘ den Begegnungen und Erfahrungen nochmal ganz klar geworden ist: Wir sind alle gleich. Egal, welche Herkunft, welches Alter, Geschlecht oder welche Art des Unterwegsseins: Niemand ist mehr oder weniger wert, jeder hat die gleichen Grundbedürfnisse und Rechte. Und das ist toll !

Welche Gefühle und Themen kamen an die Oberfläche?

  • „Habe ich Bindungen?“
  • „Bin ich eine Last?“
  • starke Ruhelosigkeit, Eile, Leistungsorientierung
  • ständig in bestehende Systeme einfügen und mich selbst zurücknehmen 
  • mir fehlt (physischer & emotionaler) Raum
  • Viel Zeit in der Natur, Verbundenheit mit mir selbst und meiner Umgebung – ich konnte nun intensiv spüren, wie stark Autos, Flugzeuge, Maschinen, Lärm, Müll, Abgase usw. mein Nervensystem beeinflussen. Auch die Anonymität und immense Handynutzung in unserem Umfeld hat mir mehr denn je gezeigt, wie stark wir eigentlich die Verbindung zu uns selbst, unserer Umwelt und unseren Mitmenschen verloren haben. 

Die einprägsamsten Erfahrungen waren all‘ jene, in denen ich in Kontakt mit den Menschen (Einheimische, andere Pilger, hospitaleros) gekommen bin. Durch den Fokus auf die Grundbedürfnisse war ich vollkommen verbunden mit meiner Umwelt – dadurch sind die Sinne geschärft, man nimmt Gerüche, Farben, Szenen, Tiere und eben auch Menschen viel mehr wahr und lässt sich auf sie ein. Es ist wie der vollkommene Einklang mit dem Moment, mit allem was kommt. 

Ich hatte also viele Gespräche am Gartenzaun, im kleinen Gässchen, an der Ampel oder auf dem Waldweg. Und natürlich in den Unterkünften. Es ist einfach schön, wie interessiert man jeweils am anderen ist und wie viel Hilfsbereitschaft, Neugier und Warmherzigkeit wir Menschen uns entgegenbringen können!

Wie geht es mir nun nach meiner Ankunft in Rom?

Ich drücke es mal bildlich aus:

Die Zeit auf dem Weg war sehr herausfordernd, hat mir aber auch viele Erkenntnisse und persönliches Wachstum gebracht. 

Ich bin so unglaublich dankbar, dass ich diese Erfahrung machen konnte. Dass ich mein Vorhaben einfach umgesetzt habe. Und dass ich gestärkt auf alles schaue, was bevorsteht.

In einigen Tagen beginnt wieder ein neues Kapitel. Diesmal fühlt es sich noch größer und bedeutender an als in den letzten beiden Jahren. Falls du dich jetzt fragst WARUM: Diese Frage kann ich dir leider selbst nicht beantworten 😅

Ich weiß nur, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Nämlich auf meinem persönlichen Lebensweg. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert