Auf dem Weg

Da bin ich nun.

Eintausend Kilometer bis nach Rom. Ein Vorhaben, das schon seit einigen Jahren in meinem Kopf herumschwirrt. Ich bin jemand, der gern macht und nicht (nur) redet

Das Pilgern und Trekking hat es mir mit meinen bisherigen Erfahrungen auf der Rota Vicentina und dem Camino Portugues wirklich angetan. Die Via Francigena, auf der ich aktuell unterwegs bin, ist allerdings eine Nummer größer… und auch anders.

So kannst du dir die Via Francigena ungefähr vorstellen:

Der Weg führt durch wunderschöne Landschaften, kleine Dörfer und historische Städte. Angefangen im Val d’Aosta geht es durch Piedmonte, Lombardia und Emilia-Romagna in die Toskana, von welcher die Via einen kurzen Knick nach Liguria macht, zurück in die Toskana führt und letztendlich nach Lazio, wo sich auch das finale Rom befindet.

Eine Tagesetappe variiert zwischen 25 und 34 Kilometern; Auf- und Abstiege gibt es abschnittsweise ziemlich viele. Der Weg ist gut anhand von einem rot-weißen Streifen erkennbar – bisher habe ich ihn nur drei- bis viermal verloren (Das ist wenig!!).

Es gibt eine Menge Unterkunftsmöglichkeiten… normalerweise. Doch aktuell im März habe ich manchmal große Schwierigkeiten, eine geöffnete (und/oder bezahlbare) Bleibe entlang des Weges zu finden. Ich versuche immer, in den Pilgerstätten zu schlafen – meist ist das eine Kirche, ein Kloster oder ein altes Krankenhaus. Die Menschen, die dort vor Ort sind, sind unglaublich warmherzig, freundlich und hilfsbereit. 

Warum laufe ich diesen Weg?

Unsere schnelllebige und anonyme Konsumgesellschaft belastet mich sehr. Mein Geist und meine Seele können ihren Frieden in der Natur, Ruhe und in (tieferen) Verbindungen zu anderen Menschen finden. 

Beim Pilgern lebe ich zu 100 % im Einklang mit meiner Umgebung und meinem Körper. Hier sind die Grundbedürfnisse (lebens)wichtig: Trinken, Essen, Bewegung, Schlaf & Erholung und ein Bett für die Nacht. Die Sinne sind total geschärft. Sei es ein Rascheln im Gebüsch, Regen, Hitze, steile Auf- und Abstiege, Wegeverhältnisse, lange Distanzen, Hunger, Verkehrslärm oder Abgase. Die Fragen „Wo kriege ich etwas zu essen?“, „Wo ist eine Wasserquelle?“, „Werde ich für heute Nacht etwas zum Schlafen finden?“ oder die Sorgen „Hoffentlich kriege ich meine Sachen bis morgen wieder trocken!“ und „Gibt es Warmwasser?“ gehören zum Alltag. 

Niemals sonst lebe ich so sehr im Moment und kann mich auf das einlassen, was kommt. Dieses einfache Leben erfüllt mich total. 

Und dabei sind die schwierigen Situationen auf keinen Fall außen vor zu lassen. Täglich warten Herausforderungen, die eine große Menge Flexibilität und Resilienz erfordern.

Wie gehe ich damit um?

Puuuh. 

Wenn ich ganz ehrlich bin: in den Momenten, in denen es gerade schwierig ist, rasen meine Gedanken. Ich fühle mich allein, hilflos und habe Ängste. Angst, dass mein Körper die Tagesetappe nicht mehr schafft. Angst, dass ich nicht aus dem Wald herausfinde. Angst, dass der Hund mich beißt. Und Angst, dass ich für die bevorstehende Nacht kein Dach über dem Kopf habe.

Ja, ich gehe gerade auf Dinge ein, die mir im Verlauf des Weges passiert sind. Es waren Situationen, die mich über meine Grenzen gebracht haben. Ich habe geweint und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Und es werden auch noch weitere solcher Momente kommen.

Aber eines muss ich immer wieder neu lernen:

Vertrauen. 

In den letzten Monaten ist dieses Thema bei mir verstärkt aufgetreten. Mir fällt es schwer, die Kontrolle abzugeben und in die Dinge, den Lebensfluss, die Menschen und vor allem mich selbst zu vertrauen. 

Und das ist mein aktueller Fokus.

Ich möchte mehr in Verbindung mit meinen Gefühlen stehen. Mehr Vertrauen in andere Menschen, das Leben und mich selbst geben. Weiterhin Selbstbewusstsein aufbauen und meinen Wert erkennen. 

Als Pilger wirst du wahrgenommen. Die Menschen sehen dich, sprechen dich an, sind interessiert und hilfsbereit. Ganz genau das Gegenteil, was in unserer heutigen Gesellschaft größtenteils der Fall ist. Auf dem Weg bist du Jemand, und nicht Irgendjemand. Und das tut gut. Ich strahle die Menschen allgemein sehr gern an, bin immer offen für eine Interaktion. Und es ist verdammt schön, dass so viel zurückkommt… oder erstmal überhaupt auf mich zukommt. 

Das Pilgerleben ist nichts auf Dauer. Aber es ist eine sehr gute Möglichkeit, um herauszufinden, wo deine Grenzen liegen, was dir gut tut, wie resilient du bist und bei welchen Themen du noch genauer hinschauen musst.

Vor mir liegen noch etwa 550 km. Das heißt aber gleichzeitig, dass auch schon 450 km geschafft sind. Eine Zeit und Strecke, die mir bisher unglaublich viel abverlangt hat (körperlich und mental), aber in der es unfassbar tolle Momente gab, die ich für immer in Erinnerung behalten werde. 

Buon cammino! 👣

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