Bergbauernleben

Hier oben ist die Einsamkeit fast unendlich. Fast haben wir Angst, dieses ungeheure Schweigen zu durchbrechen. Das Schweigen ist erdrückend, wie die hohen Berge, die sich gegen den Himmel abheben. Und doch ist es, als ob man weit weg einen langen ununterbrochenen Hornton hören würde. Das Echo in diesem Amphitheater von Felsen und Wäldern pflanzt den Ton fort.

Hier oben, auf fast 2.000 m Höhe, in einem Tal ohne Bergbahnen und Sessellifte, wird das Wohlergehen der Menschen von der Natur bestimmt… und die Geschichte von ihr geschrieben. Das Leben ist hart, arbeitsam und die Tage enorm lang. Doch durch die schwere aber tiefe Liebe der Menschen zum Leben bleiben sie hier und gehen nicht fort.

Die Gehöfte existieren bereits seit dem 14. Jahrhundert. Die ersten Siedler waren Menschen, die vor der Versklavung und Ausnutzung der damaligen Grafen in die Berge geflüchtet sind. Bewusst haben sie sich mit ihrer Niederlassung für die sonnenausgesetzten Hänge im Tal entschieden; die damit verbundenen Gefahren wurden hingenommen. Diese Menschen lebten mit der Natur – sie betrieben Viehzucht, Ackerbau, nutzten den Wald und pflegten einen eigenen Gemüsegarten. Man lebte von dem, was daraus gewonnen wurde: Fleisch, Milch, Butter, Mehl für das selbstgebackene Brot, Gemüse, Salat und Pilze. Die steilen Leger (Almwiesen) rund um den Hof wurden bestenfalls zweimal im Sommer für die Heuernte genutzt: mahnen, wenden, zusammenbringen, einholen, lagern, füttern. Das war die Grundlage für Rinder, Schafe und Ziegen im Winter. Wenn das Wetter allerdings einen zweiten Heuschnitt nicht ermöglichte, dann reichte es nicht aus für die kalte Jahreszeit. Die Bauern versuchten dann, einige ihrer Tiere zu verkaufen. 

Das Leben auf den Bergbauernhöfen hängt von dem ab, was die Erde, der Stall und die Jagd hergeben. 

Heute ist einiges anders. Mitte der 1970er Jahre wurde eine Asphaltstraße gebaut, die sich entlang der Steilhänge bis zum höchsten Hof hinaufschlängelt. Auch sonst sieht man anhand von Wegen, Zäunen, Schildern und Toren die menschliche Einwirkung. Die Bauern besitzen Maschinen, die eine Menge der körperlich schweren Arbeit abnehmen oder zumindest erleichtern. Damals beispielsweise wurde die Heuernte komplett von Hand gemacht. Heute mäht eine Maschine, der Traktor wendet das Heu und ein anderer sammelt es dann ein, nachdem es zuvor von Hand zu einer gigantischen Rolle zusammengebracht wurde. Früher waren es etwa fünf Stunden Gehzeit bis ins Tal. Dort wurden dann ein paar der eigenen Produkte verkauft und das, was man nicht am Hof selbst produzierte, eingekauft. Dabei trug man alles auf dem Rücken – zum Beispiel das eigene Mehl nach unten und gekauftes Salz oder Zucker wieder mit nach oben. Egal ob Senior oder Junior, alle haben mitarbeitet. Es blieb gar keine andere Wahl, um zu überleben.

Viele Höfe sind Erbhöfe seit mehreren Jahrhunderten, sie befinden sich also schon ewig in Familienbesitz. Die Menschen, die hier leben, haben Angst vor der Stadt – sie wollen gar nicht weg, haben das andere Leben nie kennengelernt… und möchten es auch nicht. 

Die Milchproduktion haben die Bauern irgendwann aufgegeben und sich auf die Verarbeitung des Fleisches umorientiert. Unter den heutigen Vorschriften und Auflagen für die Milchverwertung wäre der Aufwand unverhältnismäßig zum Nutzen. Der Hof, auf dem ich momentan lebe, hält Rinder und Schafe – sie sind von ca. Juni bis September auf der nahegelegenen Alm, wo sie sich grenzenlos bewegen können und eine unglaubliche Freiheit haben. Auch die anderen Höfe halten Vieh, meist auch Rinder und Schafe. Der Schäfer aus dem Dorf schaut aller zwei bis drei Tage nach ihnen. Gab es einen Wolfsangriff, muss er verletzte Tiere, die bitterlich leiden, töten. Das ist eine große Voraussetzung seiner Tätigkeit. 

Mittlerweile leben die Bergbauern auch nicht mehr allein an ihrem Hof. Viele vermieten nebenbei noch Zimmer oder Ferienwohnungen, oder sie betreiben ein kleines Bergrestaurant. Somit sind eigentlich immer Gäste da, die ihnen in gewisser Hinsicht durch deren Konsum das Überleben sichern.

Das (Zirben-)Holz aus dem Wald wird für die Zimmerausstattung, den Ofen in der Gaststube und den Holzofen zum Kochen genutzt. Die drei Gemüsegärten bringen Salat, Kohl, Rote Bete, Möhren, Lauch und Kräuter. Auch der befreundete Hobbygärtner am Taleingang liefert regelmäßig Beeren, Kräuter, Obst und Gemüse. Solarzellen hinter dem Haus lassen die Waschmaschinen laufen und die Lampen leuchten. Den Gästen wird mit Liebe gekochtes Essen kreiert – von Speck- und Leberknödeln über Schöpsernes, Rindsbraten und Gulasch bis hin zu Nocken und Kartoffelteigtaschen sind eine Menge Leckereien dabei. Pfifferlinge und Steinpilze aus dem Wald landen auch regelmäßig auf den Tellern. Bergkräuter wie Edelraute, Enzian oder Jochifi (Schafgarbe) werden gesammelt, um Schnaps anzusetzen, Zirbenzapfen ebenso. Die Essensreste aus dem Gastbetrieb landen nicht einfach im Müll – sie werden an die Hühner verfüttert, die täglich wunderbare Eier legen. Dinge, die nicht selbst am Hof produziert werden, werden zugekauft – darunter beispielsweise Milch, Joghurt, Käse, Brötchen, Nudeln und Reis. Das Fleisch und die Wurst stammen fast ausschließlich aus eigener Haltung, und wenn etwas zugekauft wird, dann ist es aus der Region. 

Mittlerweile besitzen die Bauern hier oben auch Autos, um gewisse Termine wahrzunehmen, zum Arzt oder etwas einkaufen zu fahren. Früher wurde alles erlaufen oder die Materialseilbahn verwendet (auch Menschen wurden damit transportiert, vor allem wenn sie krank waren oder es schnell gehen musste z.B. bei einer Schwangeren in den Wehen). 

Einige haben heute nebenbei noch einen Job im Tal. In diesem Fall betreiben sie aber keine Gastwirtschaft, sondern „nur“ die reine Landwirtschaft.

Der Senior-Bergbauer meinte mal:

Es ist schwer, ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu leben. 

Damals lebten sie mit dem Aberglauben – dem Glauben an die Geister der Vorfahren. Heute sind die Bauernfamilien zwar immer noch sehr gläubig, allerdings wissen sie auch, dass mit der heutigen Entwicklung viele Erleichterungen und Neuerungen in ihr Leben kommen. Sei es das Auto, der Traktor, die Fahrstraße bis zum Hof, die Waschmaschine oder warmes Wasser. 

Ich bin nun seit fünf Monaten ein Teil dieses Lebens… und für mich ist es sehr erdend. Die Verbundenheit mit der Natur, die Wertschätzung für das Leben, gegenseitige Unterstützung, Füreinander-Sorgen und keine Hektik oder Lärm. Ich würde nicht sagen, dass der Hof „fernab der Zivilisation“ liegt, ein kleines bisschen vielleicht. Zu Fuß sind es ca. 1½ Stunden bis ins Dorf, mit dem Auto etwa 30 Minuten. Und selbst das Dorf besteht aus dem Nötigsten: Kirche, Schule, Tante-Emma-Laden, Bushaltestelle, Bank. Nach dieser langen Zeit werde ich sicherlich große Schwierigkeiten haben, in das „normale“ Leben mit all‘ dem Verkehr, Lärm, Trubel und Konsum zurückzufinden. 

Was habe ich hier oben gelernt?

  • Es steckt enorm viel Aufwand hinter vielem, was für uns mittlerweile so selbstverständlich geworden ist.
  • Ich habe gesehen, wie die Tiere gehalten und behandelt werden, wie das Fleisch verarbeitet und zubereitet wird – bei dieser Tiefe, Wertschätzung und Qualität esse ich gern mal ein Stück Fleisch. Ganz bewusst. Ich bin Vegetarier aus moralischen Gründen – und die Absicht des Fleischkonsums ist hier definitiv eine andere als in der Massenindustrie.
  • Wir alle leben gemeinsam auf der Erde. Gegenseitig aufeinander zu achten und sich zu helfen sind unglaublich wertvolle Dinge. 
  • Das Leben auf dieser Höhe ist anders. Wenn im Tal schon der Frühling in vollem Gange ist, herrscht hier oben noch lange der Winter vor. Der Sommer kommt sehr spät und hält meist nur für vier-fünf Wochen an. Wenn es unten im Tal noch schönster Sommer ist, kann es passieren, dass hier oben schon der erste Schnee fällt (und liegen bleibt). Die Wege nach unten sind aufwendig und lang, man lebt viel bewusster und muss sich gut organisieren.
  • … und noch so einiges mehr

Letztendlich werde ich in ein paar Wochen mit einem freudigen und einem weinenden Auge gehen.

Aufgrund all‘ der Erinnerungen und Erfahrungen, die ich in dem halben Jahr sammeln durfte. Und wegen der Menschen, die schon immer hier auf diesem Hof leben und von deren Familie ich mittlerweile ein kleiner Teil geworden bin. Die Arbeit macht mir auch unglaublich viel Spaß. 

Trotzdem ist es auch an der Zeit weiterzuziehen. Wieder vermehrt aus meiner Komfortzone heraustreten zu müssen. Neue Orte zu entdecken. Mir meine Angelegenheiten zu organisieren und mich um mehr zu kümmern als ich es aktuell tun muss. 

Es ist aber nicht das letzte Mal, dass ich für längere Zeit in den Bergen gelebt habe. 

Danke, liebe Familie S., dass ihr mich so herzlich aufgenommen habt. Danke, dass ich euch so tatkräftig unterstützen durfte – bei Almauftrieb, Heuernte, Gastwirtschaft und im Stall. Danke, dass ihr mir die Chance gegeben habt, euch kennenzulernen und mit euch zusammenzuleben. Ihr habt einen großen Platz in meinem Herzen und ich werde euch und die Zeit hier oben niemals vergessen. Wir werden uns wiedersehen 😊

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