Willkommen auf 2.000 m
6:18 Uhr.
»Rrrrrrrrrring«. Augen auf, Beine unter der Bettdecke vor, Hose und Pulli anziehen, Dreckklamotten drüber, einmal kurz in den Spiegel lächeln… und ab geht’s in den Stall. Auf dem Weg durch den Regen höre ich schon das „Muuuuuh“ und „Määäh“ und „Kikeriki“, ein Strahlen zaubert sich in mein Gesicht. »Griastenk« trällere ich, als ich von wohligem Geruch umhüllt den Stall betrete. Alle zwölf Augenpaare richten sich auf mich. Ich beginne, die gut befüllte Rinne hinter meinen tierischen Freunden zu leeren, um wieder Platz für Neues zu schaffen. »Muuuh, mier hobm Hungoar!« Nervosität liegt in der Luft, ein kleiner Anflug von Wut ist auch dabei. »Los jetzt!«
Die beiden Senior-Bergbauern betreten den Stall und schauen mich überrascht an: »Tinka, du muoscht dis nit mochn.« Das weiß ich doch, ich mache das alles freiwillig. Stall ausmisten, dreckig werden, Landluft – alles Dinge, die mir Spaß machen und gut tun.
Die kiloschweren Fladen füllen vier bis fünf Schubkarren. Danach gibt’s noch riesige Batzen Heu als Futter und neues Stroh „unter’s Pops’l“. Maximal ’ne halbe Stunde, dann sind alle versorgt und glücklich.
6:57 Uhr.
Wir verlassen den Stall, schalten das Licht aus… und sehen uns zehn Minuten später schon wieder in der Küche. Dort wird schon fleißig geschnippelt, gerührt, geklopft und gebrutzelt. Auch die Frühstücksbrötchen sind schon fertig gebacken, die Butter in Stücke geschnitten, Marmelade, Joghurt & Saft abgefüllt. Nur Kaffee, Aufschnittbrettl und Eier fehlen noch – das wird alles erst frisch gemacht, wenn die Gäste kommen.
Ich koche mir wie jeden Morgen meine große Schale Haferbrei und genieße sie in der morgendlichen „Ruhe vor dem Sturm“. Es sind noch zwei-drei Happen auf meinem Teller, da kommen schon die ersten Gäste. »Guten Morgen, gut geschlafen?« Alle sind entspannt und glücklich.
7:53 Uhr.
Los geht’s – neuer Tag, neue Energie. Die Gäste bekommen Kaffee, Milch, Tee, Frühstückseier (von den eigenen Hühnern) und Aufschnittbrettl an den Tisch gebracht. Zwischendurch wird abgeräumt, aufgefüllt und saubergemacht.
9:46 Uhr.
Nach und nach leert sich der Gastbereich. Einige Leute sitzen noch da und genießen die friedliche Morgenruhe in den Bergen. Doch die meisten Gäste sind schon unterwegs auf „Wanderschaft“.
10:18 Uhr.
Nun ist auch der letzte aufgebrochen oder wieder Richtung Heimat abgereist.
Jetzt kann’s losgehen: der Staubsauger inhaliert Nadeln, Erde, Steine und Krümel; der Wischmopp eliminiert Kaffee, Milch und Flecken vom Boden. Der Besen fegt die Sonnenterrasse und der Lappen lässt die Abdrücke der Bier- und Weingläser von den Holztischen verschwinden. Dreckige Tischdecken werden gegen frisch gewaschen & gebügelte ausgetauscht, neue Blumen auf den Tisch gestellt, Zucker, Essig, Öl, Salz & Pfeffer wieder aufgefüllt. Die Spülmaschinen geben volle Power, um alles wieder zum Glänzen zu bringen.
Auch in den Zimmern geht’s rund: Saugen, Wischen, Handtuchwechsel, Bad putzen, Betten machen, Müll entsorgen. Alle Handtücher, Bettwäsche und Tischdecken werden im Waschraum durch die Trommel gewirbelt, auf der Terrasse auf die Leine gehangen. Es riecht nach frischer Wäsche und Reinigungsmittel.
11:12 Uhr.
Schon kommen die ersten Wanderer, die im Laufe ihrer Tagestour den Weg zum Hof gefunden (oder bewusst gesucht) haben. Eine ganze Menge zum Trinken darf es sein, ein gutes Bauernessen zur Stärkung ist natürlich auch drin.
14:36 Uhr.
Hausgemachte Kartoffelteigtaschen, Nocken, Braten, Brettl, Knödel, Rösti, Suppen, Schnitzel, Brot und Salate verlassen die Küche im Minutentakt. »Kling, kling« – gerade bin ich dabei, die fünf Bier, drei Weizen, acht Sportwasser und vier Veneziano an der Bar zu kreieren, da sind die nächsten Gerichte fertig. Zack, zack, zack. Wir rotieren, kommunizieren, schrubben Kilometer zwischen Sonnenterrasse, Küche, Bar und Gaststube.
Nebenbei reisen nach und nach die neuen Hausgäste an. Sie checken ein und beziehen ihr Zimmer, machen den ersten kleinen Spaziergang in der neuen (Traum-) Umgebung.
15:11 Uhr.
Zum ersten Mal bleibt kurz Zeit, um auf Toilette zu gehen und etwas zu essen. Ich schnappe mir meinen Teller und verziehe mich an eine ruhige Stelle in der Sonne, wo keiner stören kann. Dort stehen mir wenigstens diese zehn Minuten Allein-Sein zu, in denen ich meine Energie mit einer stärkenden Mahlzeit vor traumhafter Kulisse erneuere. Während ich meinen leeren Teller zur Spülmaschine bringe, fragt mich Omi jedes Mal: „Tinka, hast du genug?“ Ich nicke zufrieden.
15:26 Uhr.
Weiter geht’s: Die Kaffeemaschine kommt nicht zum Stillstand: Cappuccino, Espresso, Kaffee, Macchiato, heiße Schokolade. Auch die frisch am Morgen gebackenen Kuchen finden ihren Weg in die hungrigen Mägen der Tagesgäste.
So langsam wird es ruhiger in der Küche, doch dort beginnt nun die dritte Phase des Tages: die Vorbereitungen für’s Abendgeschäft.
17:38 Uhr.
Servietten falten. Besteck für’s Fünf-Gänge-Menü abzählen und zurechtlegen. Benutzte Gläser vom Nachmittag spülen und aufräumen. Tische und Stühle an die richtige Stelle stellen. Schmutzige Tischdecken gegen neue austauschen. Die Bar wieder mit neuen Flaschen befüllen. Besprechung mit der Küche bezüglich des Abendmenüs.
In der Küche wird schon den ganzen Nachmittag gekocht und im Ofen gegart. Es ist etwas ruhiger geworden, aber trotzdem gibt es eine Menge zu tun. Jeder weiß, was er zu tun hat.
18:27 Uhr.
Nach und nach kommen die Hausgäste in die vom Holzofen beheizte Gaststube. Es herrscht eine ruhige, angenehme Atmosphäre, alle sind etwas erschöpft vom Tag. Jeder bekommt sein Getränk – und schon geht es los: Vorspeise Nummer eins, abräumen, Vorspeise Nummer zwei, abräumen, frischer Salat mit hausgemachtem Kräuterdressing, Hauptgericht, abräumen… und natürlich das kleine Süße zum Schluss, das da auch noch irgendwie im Magen Platz findet. Zwischendurch neue Getränke, ein interessiertes Austauschen über den Tag, das Planen der Wanderung für den nächsten Tag. Oftmals auch ein Plausch über Gott und die Welt.
Allzu spät wird es nicht: alle sind müde und werden von ihrem Bett wie magisch angezogen. Hinter dem letzten Gast wird die Türe zugeschlossen, für’s Frühstück eingedeckt, der Saft schon kaltgestellt… damit es am nächsten Morgen um 5:30 Uhr direkt mit dem neuen Tag losgehen kann.
21:42 Uhr.
In der Küche wird Kaffee gekocht, Löffelbiskuits werden ausgebreitet und die Mascarpone-Creme zusammengerührt – für neues Tiramisu, das über Nacht so richtig schön durchziehen kann. Nebenbei wird alles wieder blitzblank geputzt, der Boden gekehrt und geschrubbt. Der eine gähnt, der andere schläft beim Zeitunglesen ein und kippt mit dem Oberkörper nach vorn. Puuh, so langsam nimmt der Tag ein Ende.
22:18 Uhr.
Zzzzzzzzzzzzzzzz
Was nebenbei noch alles passiert:
Hühner, Schafe, Esel, Pony und Rinder füttern, neue Kartoffelteigtaschen, Nocken, Braten & Co. vorbereiten, Kartoffeln schälen, Gemüse schnippeln und garen, Salat schleudern, einkaufen fahren, Schafe und Rinder auf die Alm bringen, sich hin und wieder die Zeit für Stamm-, Haus- und Tagesgäste nehmen (soweit es möglich ist), Wäsche aufhängen und neue Maschine anstellen, Müll einsammeln, Heuernte, Gemüsegarten bepflanzen, Kartoffeln auf dem Acker am Steilhang setzen, Besteck in Servietten wickeln, Fehlendes aus dem Lager holen, durchatmen, Gäste-WC checken und bei Bedarf Toilettenpapier auffüllen oder saubermachen, Spinnweben entfernen, Tische abwischen, Fragen beantworten, Auskünfte geben, Telefonanrufe entgegennehmen, Buchungen bestätigen, Abrechnung, Aschenbecher leeren, Terrasse kehren, neues Feuerholz aus der Scheune holen, Ofen anheizen, Rasen mähen, Italienisch lernen und sprechen… und noch soooo vieles mehr.
Wertschätzung.
Man mag gar nicht glauben, wie viel Herzblut und Leidenschaft es bedarf, um so eine Wirtschaft gut zu betreiben. So, dass sich alle wohlfühlen. Dass es jedem schmeckt. Dass man selbst von Tag zu Tag gerne aufsteht, sich auf den bevorstehenden Tag freut und genügend Energie für alles Anliegende hat.
Es ist toll, für ein halbes Jahr ein Teil der Bergbauernfamilie zu sein und in ihrem Alltag tatkräftig helfen zu können. Hier lebe ich das Leben so, wie es mir gut tut:
- Einklang mit der Natur, Bewusstsein für die Umwelt
- so viel Zeit wie möglich draußen verbringen
- Ruhe, Entschleunigung
- keine Verkehrsbelastung, Maschinen, Menschenmassen
- Selbstversorgung (so weit wie möglich)
- regionales, saisonales und frisches Essen
- eigener Gemüsegarten
- füreinander sorgen, aufeinander aufpassen, an die anderen denken
- Kommunikation
- Jeder hilft jedem
- wertschätzender Umgang miteinander
- kein Interesse an Fußball, Autos, Städten, Luxuswerten & -gütern, Materiellem, sozialen Medien, neuen Technologien usw.
Ich freue mich auf alles, was in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten auf mich wartet. Und bin dankbar für das, was ich im vergangenen Monat bereits erfahren und erleben durfte 😊






