(Er)Leben

Die stressigen Wochen am Berghof sind vorbei. Stunden, Tage, Wochen, die geprägt waren von Schlafen-Arbeiten-Essen-Trinken. Tausende Schritte hat jeder vom Team an einem Tag gemacht, es war ein ständiges Routieren zwischen Gastraum, Küche, Bar und Sonnenterasse. Der Sommer kam sehr spät hier oben an und blieb für ein paar wenige Wochen. Vom Mai bis in den Juli regnete es sehr viel, das Wetter war unbeständig, kalt und feucht. Auch jetzt, pünktlich mit dem September, tritt dieser Zustand wieder ein. 

Die Ferien sind vorbei und der Bergsommer auch – es kommen verhältnismäßig wenige Gäste hier hoch. Durch die einkehrende Ruhe und Entschleunigung im Arbeitsalltag spüre ich mein gesunkenes Energielevel. 

Die Arbeit bereitet mir enorm viel Freude, das Team passt richtig gut zusammen. Doch die Tätigkeit ist körperlich und physisch anstrengend: am besten fünf Sachen gleichzeitig machen, die Bedürfnisse und Wünsche der Gäste erkennen, andere Sprachen sprechen, schwere und heiße Teller tragen, Flaschenkästen und Bierfässer schleppen, früh aufstehen, spät schlafen gehen, einen hohen Lautstärkepegel aushalten, putzen und schrubben, schreiende oder rennende Kinder, zerbrochenes Glas und Porzellan, immer wieder neue Charaktere, kaum Privatsphäre… über Monate hinweg zerrt das an den Kräften. Und da ich stets mein Bestes gebe, mich in meine Arbeit voll reinhänge und zu hundert Prozent bei der Sache bin, raubt es meiner Batterie einiges an Strom. 

An meinem freien Tag unternehme ich immer eine große Wandertour, da es die einzige Möglichkeit in der Woche ist, Haus und Hof zu verlassen und etwas anderes zu sehen. Einmal weg von der Arbeit und ganz für mich allein sein. 

Auch jetzt verstehe mich nicht falsch: ich fühle mich pudelwohl hier mit den Menschen und dem Hof! Aber ich merke, dass ich so auf Dauer nicht leben könnte. Privatsphäre muss man sich teilweise gezielt suchen, manchmal fehlt mir das absolute Ungestört-Sein.  

Seit ein paar Tagen weiß ich nun, wann mein letzter Arbeitstag sein wird – es ist nur noch ein Monat, dann ist die Sommersaison schon vorbei. Ich weiß genau, wie schnell die verbleibende Zeit vergehen wird. Da gibt es das lachende Auge, das sich auf die Weiterreise und neue Erfahrungen freut, aber natürlich auch das weinende Auge, das die Routinen, den geregelten Tag und die Abgeschiedenheit und Stille der Berge vermissen wird. 

Das Zur-Ruhe-Kommen hier oben hat mir in den letzten Monaten enorm viel über mich selbst gelehrt. Ich stand sehr mit meiner Gefühlswelt in Kontakt, was auf keinen Fall ein Zuckerschlecken war. Viele Situationen aus meiner Kindheit und Jugend kamen erneut an die Oberfläche. Erfahrungen und Erlebnisse meiner Reisen wollten nochmal mental durchlebt werden. Mein Körper hat deutlich kommuniziert, was er braucht und was er nicht braucht. Unzählige Fragen schwirren im Kopf herum:

Wer bin ich?

Was will ich?

Wie geht es weiter?

Warum tue ich das alles?

Passe ich überhaupt in diese Gesellschaft, passe ich zu anderen Menschen?

Bin ich dem Leben gewachsen?

Die Antworten sind ganz klar: Ich vertraue auf mein Bauchgefühl. Und ich bin gut so wie ich bin. Das hier ist mein Leben, das (momentan) perfekt zu mir und meinen Bedürfnissen passt. Ich bin genau da, wo ich gerade sein soll. Und alles, was ich mache, hilft dabei, mich selbst kennenzulernen, auf dem steinigen Weg voranzukommen und noch bevorstehende Herausforderungen zu meistern.

Die grobe Richtung, in die es weitergeht, ist klar. Die Details kommen dann, wenn es an der Zeit ist. Ich will lernen, Dinge auf mich zukommen zu lassen und nicht alles im Voraus zu planen. Es ist schwer, aber ich möchte flexibler sein. Also habe ich mir Zettel und Stift genommen und eine grobe Landkarte gemalt. Darauf wurden alle Orte und Regionen eingezeichnet, die ich gern entdecken will. So habe ich einen schönen Überblick über Lage und Entfernungen der einzelnen Fleckchen Erde und kann mir überlegen, wie ich es miteinander verbinde. Was ich dann dort alles mache und wie – das muss ich jetzt noch nicht wissen.

Ich kann meinem Bauchgefühl hundert Prozent vertrauen, denn es hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass ich die richtigen Entscheidungen getroffen und die richtige Richtung eingeschlagen habe. Und wenn der Kurs mal nicht ganz optimal war, dann hat es mich wieder auf den Weg zurückgebracht.

Was habe ich für Erkenntnisse gewonnen?

Ich gebe immer mein Bestes und tue alles nach bestem Wissen und Gewissen. Das ist absolut genug!

Niemand außer uns selbst kann wissen, was gut für uns ist. Jeder ist individuell und einzigartig – jeder ist gut so, wie er ist.

Gesundheit ist die Grundlage für alles, was ich im Leben noch machen und erreichen will.

Dein Körper und deine Seele sind das Wichtigste, was du hast. Sorge gut für sie!

Lass‘ die Erwartungen und Menschen los, die dir nicht gut tun, und konzentriere dich darauf, was DICH glücklich macht.

Ich bin es wert!

Dich mit anderen zu vergleichen bringt dich nicht weiter. Nach den gesellschaftlichen Vorstellungen zu leben engt dich ein und nimmt dir deine Freiheit. Alles zu zerdenken macht keinen Sinn, da du erstens nicht in die Köpfe der anderen schauen kannst und zweitens sowieso alles anders ist und kommt als erwartet. 

Ich entspreche mit Persönlichkeit, Bedürfnissen und meinem Leben nicht der gesellschaftlichen Norm. Und mittlerweile habe ich gelernt, diese Tatsache anzunehmen. Mehr mit mir selbst in Kontakt zu sein und auf die Seele anstatt auf das Außen zu hören, lässt mich in mir ruhen. Ich verbringe inzwischen gern Zeit mit mir selbst, genieße das Allein-Sein und gerate in zwischenmenschlich schwierigen Situationen nur noch selten aus dem Gleichgewicht. Die Wertschätzung für das Leben ist viel größer geworden. 

Also lebe dein Leben, sorge gut für dich, denke auch an andere, lass‘ dich auf Unvorhergesehenes ein und lerne die kleinen Dinge zu schätzen – und es wird alles so kommen, wie es kommen soll. Lass‘ das Leben fließen. 

Ich bin bereit. Bereit für neue Erfahrungen, Herausforderungen und Lektionen. Bereit für die nächsten Schritte. Bereit für das Unbekannte und Neue. Bereit für meinen Weg! 

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