Herausforderung

Was mache ich hier eigentlich? Warum tue ich mir das an?

Wie oft hatte ich diesen Gedanken schon? Puuh, keine Ahnung.

Wenn ich eines meiner (verrückten) Vorhaben umsetze, kommt dieser Gedanke mindestens einmal auf. Egal, ob es daran liegt, dass ich körperlich an meine Grenzen komme oder ob es eher eine mentale Herausforderung ist, die sich da auftut: Es kommt immer mal zu diesem Moment, an dem ich kurz daran denke, alles hinzuschmeißen und mein Vorhaben abzubrechen. 

Vielleicht ist es bei einer Wanderung, bei der das Terrain gefährlicher ist als erwartet. Vielleicht ist es der Regen, der unermüdlich auf mich einprasselt und mich bis auf die Knochen durchnässt. Oder der Wind, der mich beinahe vom Fahrrad schmeißt bzw. mir die Beine wegzieht. Genauso kann es sehr herausfordernd sein, im ländlichen Raum mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B zu kommen, vor allem, wenn man sich drei Verbindungen zusammengeschustert hat und schon die erste einen fetten Strich durch die Rechnung macht. Auch gelegentliche Schwierigkeiten, Menschen auf der gleichen Wellenlänge in der Unterkunft zu finden, können sehr frustrierend sein. 

Es gibt noch so viele andere Situationen, die einen manchmal eher zweifeln lassen. Ich besinne mich dann jedes Mal darauf, warum ich die Sache tue. Ich reise, weil mir das Neue und auch Unbekannte den Horizont erweitert und mich inspiriert. Ich mache all‘ diese Wanderungen, Radtouren und generell (Outdoor-)Aktivitäten, weil ich dadurch in Kontakt mit meinem Körper und meinen persönlichen Grenzen komme. Ich dusche kalt, weil mich das aus der Komfortzone holt. Ich lerne neue Sprachen, um mit den Einheimischen und der Kultur des fremden Landes besser in Kontakt zu kommen. Ich setze mich jedem Wetter aus, um gar nicht erst in Bequemlichkeit zu verfallen… und Erfahrungen zu machen, die vielleicht nicht den „gewöhnlichen“ entsprechen. 

Im Moment bin ich auf dem Oder-Neiße-Radweg an die Ostsee unterwegs. Gestartet bin ich vor der Haustür. Es ist ein Traum, der schon seit vielen Jahren auf meiner „Want-to-Do“-Liste steht. Und durch meinen ungeplanten spontanen Heimatbesuch bleibt mir noch ein bisschen Zeit, bevor die Reise weitergeht. Mein Gedanke also: „Hab‘ ja Zeit, warum mache ich es nicht einfach jetzt? Bevor es ewig in meinem Kopf rumschwirrt und am Ende in den nächsten Jahren einfach nicht so richtig passt…“ 

Also schnell noch ein bisschen Lektüre in der Bibliothek ausgeliehen, die Nachbarin nach Fahrradtaschen gefragt, und drei Tage später geht’s (bzw. fährt’s 😉) schon los. Die spontanen Dinge sind doch meistens immer die besten.

Es ist eine gute Erfahrung mit vielen Situationen, die neu für mich sind. Gleichzeitig gibt es auch eine Menge Herausforderungen. Und den Gedanken, den ich am Anfang erwähnte, hatte ich, um ehrlich zu sein, nun schon mehrmals. Der Wind ist extrem und lässt mich nur schwer vorankommen, die Beine brennen davon auch wie verrückt. An manchen Stellen ist der Weg in derart schlechtem Zustand, dass es meine Fahrradtaschen insgesamt fünfmal vom Fahrrad wirft, sodass ich anhalten, zurücklaufen und sie wieder einsammeln muss. Auf den letzten 10 bis 20 Kilometern verändere ich aller zwei Sekunden meine Position auf dem Sattel, weil es sich anfühlt, als wären in meinem Hintern sehr aktive Hummeln. Oftmals fühle ich mich hilflos, weil ich die polnische Sprache nicht beherrsche, sie aber aus Respekt gegenüber der Menschen und des Landes anwenden will. Und meine Vorstellung, so wie beim Pilgern jederlei Begegnungen zu haben, kann ich wohl vergessen.

Erst wenn ich am Ziel bin und zur Ruhe komme, merke ich, wie müde und ausgelaugt ich bin. Der Hunger ist groß, das Bedürfnis nach einer frischen Dusche und Schlaf unbändig. Das Leben ist wieder auf die wichtigsten Sachen begrenzt. Mir gefällt diese Art des Unterwegs-Seins, weil der Fokus auf den kleinen und in mancher Augen vielleicht primitiven Dingen liegt.

Warum tue ich das?

Es hilft mir, mehr in Kontakt mit mir selbst, der Umgebung und dem eigenen Körper zu sein. Es zeigt, was wirklich wichtig ist und lenkt den Fokus weg von den „Luxusproblemen“ in unserer Gesellschaft. Es zieht mich wieder in die Natur, die ich mit allen Facetten erlebe. Und es stärkt meine Selbstwirksamkeit, weil ich mir einen Traum erfülle, der schon seit längerer Zeit in mir wohnte. Ich mache das allein und lerne dadurch erneut, dass ich mir ruhig mehr zutrauen kann und dass ich in der Lage bin, schwierige Situationen zu meistern. 

Was gefällt mir am Fernradfahren (auf dem Oder-Neiße-Radweg)?

  • die atemberaubende Natur (Landschaften, Tiere, Pflanzen, Geräusche, Gerüche, …)
  • urige Dörfer (oder vielleicht lieber „Dörfchen“ 😉)
  • viel Landwirtschaft
  • wenig Großstadtzivilisation
  • den ganzen Tag draußen sein, frische Luft atmen, alles intensiv wahrnehmen (Wetter, Körper, …)
  • ohne Navigation fahren, sehr gute Wegbeschilderung und -beschaffenheit (ca. 95 %)
  • Wertschätzung der kleinen Dinge, wie z.B. eine warme Dusche, eine Tasse Tee, weiches Bett mit frischer Bettwäsche, Pausen, erholsamer Schlaf, Sonnenschein, guter Fahruntergrund, …und noch so viel mehr
  • Grenznähe zum Nachbarland als Miteinander verstehen lernen… und nicht als bloßes Nebeneinander

Was sind Herausforderungen, die mich beim Radeln täglich begleiten? 

  • kaum Austausch (mit Einheimischen und anderen Radfahrern)
  • das schnelle Vorbeirauschen von unzähligen schönen Dingen (Man bleibt nicht an jeder Stelle stehen, an der es etwas Schönes gibt – da würde man fast gar nicht vorankommen. Somit bleiben viele tolle Dinge „auf der Strecke“.)
  • das Fahrrad, das man auch überall mit hinnehmen und auf das man Acht geben muss (auch wenn man spontan etwas sieht, was man sich gern anschauen möchte)
  • kaum „einfache“ Unterkünfte (wenn man wie ich nur etwas für die Nacht ohne großen Schnickschnack haben will, dann ist es sehr schwer, fündig zu werden) und
  • kaum Mehrbettunterkünfte (fast ausschließlich Einzel- oder Doppelzimmer)
  • geradlinig verlaufend mit kilometerlanger Eintönigkeit ist keine Seltenheit (durch die Trockenlegung der Oder in den 1750er Jahren wurde aus dem schlängelnden Fluss ein geradliniger mit geometrischem Kulturraum rundherum)

In meinen Gedanken kreist es den ganzen Tag, ja rast sogar:

» Warum gefällt es mir nicht so richtig? Es war doch schon so lange ein großer Traum, dem ich leidenschaftlich entgegengefiebert habe. «

» So viele, die ich kenne, haben diese Tour schon gemacht, sind nach vier oder fünf Tagen an der Ostsee angekommen, oder pro Tag mal 90, mal 130 Kilometer gefahren. Ich brauche neun Tage bis an die Ostsee, finde 90 Kilometer am Tag ziemlich herausfordernd… und fahre mit E-Bike. Anscheinend mache ich etwas falsch oder bin ziemlich schlecht… «

» Will ich das überhaupt? Jeden Tag auf’s Neue quäle ich mich mental durch die Tagesetappe. Ist es denn wirklich nötig, so stur bis zum Ende durchzuziehen, nur aus der Angst heraus, am Ende ein Versager zu sein? «

Mein Papa hat gestern zu mir gesagt:

Du ver(sch)wendest so viel Energie darauf, dir Gedanken darüber zu machen, was andere über dich oder die Dinge, die du tust, sagen oder denken. Es ist vollkommen egal, was sie vermeintlich sagen oder denken könnten. Wichtig ist, dass DU glücklich bist. Und wenn dir der Weg keine Freude bereitet, dann musst du dich da nicht durch quälen… schon gar nicht für andere.

Er hat so recht. Ich vergesse mich ganz oft selbst bei all‘ den Gedanken, die ich ins Außen stecke. Oder ich fühle mich miserabel, weil um mich herum alle so viel besser, glücklicher, erfolgreicher, zielstrebiger, usw. sind.

Ich darf in meinem eigenen Tempo vorankommen.

Ich darf mir Zeit für all‘ das nehmen, was mir gut tut.

Ich darf genießen.

Ich darf meinem Herzen, Bauchgefühl und meinen Bedürfnissen vertrauen.

Ich darf meinen eigenen Weg gehen.

Was schenkt mir das Universum auf dem Weg?

  • Natur pur (atemberaubende Landschaften, Tiervielfalt, Pflanzen, Gerüche, Geräusche, Felder, Wälder, Seen, …)
  • Bad Muskau
  • Couchsurfing mit Patrick auf einer Ranch
  • Übernachtung im Heu
  • Übersetzung mit der Fähre nach Polen
  • eigener Ziegenkäse vom Ziegenhof
  • polnische Pierogi
  • große Gastfreundlichkeit
  • die Orte Kaleńsko und Krajnik Górny in Polen
  • Dolina Miłości (oder auch „Tal der Liebe“)
  • eine Kleinstadt und Region, in der ich mich SOFORT wohl gefühlt habe und mir tatsächlich vorstellen kann, mich eine Weile dort niederzulassen
  • Katrin, der ich definitiv begegnen sollte!

Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Und habe auf dem Weg bereits viele Lektionen gelernt – vor allem über mich selbst, meine Stärken, Schwächen und Vorstellungen. 

Gut gefüllt mit Impressionen gehe ich die letzten Etappen an und freue mich, danach wieder ein Stück stärker und selbstsicherer zu sein.

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