Es ist 10:27 Uhr. Der Zug rollt in den Bahnhof ein. Schon seit Tagen habe ich immer wieder diesen Moment vor Augen gehabt. Nun ist es Wirklichkeit, dass ich gleich meinen Fuß vom Boden meiner Heimatstadt in den Zug setze. Sicherlich werde ich diesen Boden in naher Zukunft nicht unter meinen Füßen haben. Mindestens viele Monate, wenn nicht sogar länger als ein Jahr.
In meinen Tränendrüsen kribbelt es gewaltig. Ich versuche es zu unterdrücken, schließlich ist der Zug gerappelt voll und ich stehe wie eine Sardine in die Büchse gepresst an der Tür – mit 13 Kilo Rucksack dazu. Je mehr ich es versuche zu unterdrücken, umso schlimmer wird es. Schließlich kann ich es nicht mehr zurückhalten – die Tränen kullern nur so über die Wangen und tropfen oben in die Jacke rein.


Woher kommt diese Traurigkeit nur? Fast zwei Monate war ich da, habe in dieser Zeit unglaublich viel erlebt. Ich habe meine allerwichtigsten Menschen getroffen und mit ihnen wertvolle Zeit verbracht. Ich war wandern, bin viel in der Heimat gereist, habe gekocht, gelesen, viel Erholungsschlaf gebraucht und Weihnachtsmärkte besucht. Ich habe endlich die neue WG meiner Schwester kennengelernt, mit Omas und Opas lange geredet, einen großen Brunch organisiert und viel mit meinen Eltern gespielt. (Es gibt noch eine Menge anderer Dinge und Menschen, die hier zu nennen sind, aber diese vielen Details spare ich jetzt mal aus.)
Die letzten Tage vor meiner Abreise waren besonders schön. Wahrscheinlich der Grund dafür, dass ich jetzt tränenüberströmt im Zug stehe und meine Heimat verschwommen an mir vorbeizieht.
In den vergangenen zwei Monaten in Deutschland gab es genügend Momente, in denen ich am liebsten sofort meinen Rucksack geschnappt und weitergereist wäre. Es gibt einfach sehr viele Trigger, die mich jedes Mal wieder einholen. Diese Trigger werden immer bleiben, aber ich muss meinen Weg finden damit umzugehen. Und jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin, erkenne ich, dass an manchen Punkten meines Weges noch schwer überwindbare Hürden und bis jetzt noch zu hohe Steine den Weg versperren.
Aber das gibt mir deswegen keinen Rückschlag. Im Gegenteil, es macht mich stärker in meinem Willen, auch diese Schwierigkeiten zu meistern. Denn wenn ich nun sehe, wie weit ich mich innerhalb der letzten Jahre entwickelt habe und gewachsen bin, dann schüchtern mich solche Herausforderungen nicht mehr ein.
Ich habe Menschen in meinem Leben, die mich so lieben und schätzen wie ich bin. Und andersherum weiß jede(r) einzelne von ihnen genau, dass ich IMMER für sie/ihn da bin – wenn zwar nicht körperlich, aber dafür emotional.
Das ist so unglaublich wertvoll – Menschen zu haben, denen ich vertrauen und auf die ich mich verlassen kann. Zu wissen, dass wir gegenseitig regelmäßig aneinander denken, auch wenn wir uns nicht sehen. Eine liebe Nachricht, ein Anruf, ein Foto – alles Momente, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern und das Herz erwärmen.
Solche Dinge sind Luxus für mich. Denn sie sind nicht selbstverständlich und viele Menschen haben solche tiefgreifenden Bindungen nicht.
Ich bin dankbar dafür, dass ich in meiner Heimat immer willkommen bin. Dass meine Lieben sich die Zeit nehmen, um zuzuhören, zu erzählen, nachzufragen, miteinander zu lachen aber auch mal ernst zu sein.
Meine große Freiheit und Ungebundenheit ermöglicht es mir, meine Zeit und Energie so einzuteilen, wie es passend und wohltuend ist. Aus diesem Grund habe ich mich auch entschieden, drei Wochen länger als geplant in Deutschland zu bleiben. Ich wollte mir Zeit für die wichtigen Dinge nehmen – sowohl für mich selbst als auch meine Lieben.
Es ist gelungen und ich konnte die wertvollen kleinen Dinge genießen – einen langsamen Morgen mit einer Tasse Tee, Sonnenstrahlen auf der Haut, gute Bücher, Vogelgesang, gemeinsame Zeit, lange Spaziergänge und Wanderungen, mein Lieblingsessen, und gute Gespräche.

Der Fokus war wie immer weg von materiellen großen Dingen und lag auf den ganz einfachen kleinen Momenten des Alltags.
Nun ist diese Zeit aber vorbei und es beginnt wieder ein neuer Abschnitt. Oder nicht? Geht die Reise „nur“ weiter oder ist es ein ganz neues Abenteuer?
Niemand, auch ich selbst nicht, wird das beantworten können.
Ich bin jedenfalls aufgeregt und frage mich die ganze Zeit, ob es das Richtige ist, was ich tue.
Zeit, es herauszufinden und die nächsten Schritte auf meinem (Lebens)Weg zu gehen. 👣
