Es ist Ende August 2022, morgens halb zehn. Ich verlasse gerade die Berufsschule, schick gekleidet mit Blümchenkleid und feiner Strumpfhose, irgendwie entspannt. Was für ein merkwürdiger Tag, für heute bin ich schon fertig mit allen wichtigen Terminen. Ist das eigentlich gerade echt passiert, habe ich wirklich vor ein paar Minuten meine mündliche Abschlussprüfung als Verwaltungsfachangestellte bestanden? Hm, irgendwie fühlt es sich so unspektakulär an.
Krass, hinter mir liegen drei sehr harte Jahre, geprägt von ständigen Auf’s und Ab’s, vielen neuen Erfahrungen, Bekanntschaften und Freundschaften, dem Auszug von Zuhause in die erste eigene Wohnung… und noch so vieles mehr. Jetzt bin ich fertig mit meiner Ausbildung und steige ins Berufsleben ein.
Eigentlich sollte ich mich doch freuen, dass ich das gemeistert habe. Aber irgendwie ist da keine Freude. Ich spüre eher inneren Widerstand und den Wunsch danach, einfach das machen zu können, was ich gern machen will. Die Gastronomie hat mich schon immer gereizt. Auch nach der Schule, als ich auf der Suche nach etwas Passendem für mich war.
„Die Arbeitszeiten sind dort so schlimm“, „Da gibt es nur unfreundliche Gäste und böse Chefs“, „Du arbeitest dann, wenn andere feiern“ – alle Totschlagargumente haben Selbstzweifel an meinen Interessen und Wünschen ausgelöst. Und letztendlich habe ich mich gegen die „böse“ Gastronomie und für die „sichere“ Verwaltung entschieden.
Jetzt, nach meiner Ausbildung, fühle ich mich trotzdem nicht wohl, obwohl ich es doch eigentlich sollte. Ich will in diesem Job nicht arbeiten. Ich will das machen, was ich tief im Herzen selbst möchte. Es ist genau die gleiche Situation wie nach der Schule, von allen Seiten kommen die gleichen Argumente gegen meinen Wunsch. Aber etwas ist anders. Ich treffe eine Entscheidung nach meinen Bedürfnissen und gegen die Erwartungen, die alle an mich haben: Ich löse den Arbeitsvertrag in der Verwaltung gemeinsam mit meinem Arbeitgeber auf und starte als Quereinsteigerin in der Gastronomie. Ich kündige meine Wohnung und ziehe um in eine neue in meiner Heimatstadt.
Alles kostet unglaublich viel Kraft. Hinter meiner Entscheidung zu stehen, alle Formalitäten mit dem alten Arbeitgeber, alle Bewerbungen für einen neuen Job, alle Absprachen mit dem neuen Arbeitgeber, der komplette Umzug, das Einarbeiten in einem komplett neuen Berufsfeld, das Ankommen in einem eingespielten Team… und nebenbei noch der ganz gewöhnliche Alltagswahnsinn.
Ich fühle mich ziemlich ausgelaugt, und trotzdem ist etwas anders: Ich bin glücklich.
Die neue Tätigkeit macht mir enorm Spaß. Ich habe meine engsten Freunde wieder näher bei mir und sehe sie öfter. Das Einrichten der neuen Wohnung lässt meine Kreativität so richtig aufleben. Die alte Umgebung weckt viele schöne Kindheitserinnerungen. Aber das Allerwichtigste: Ich habe eine große Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung für mich. Eine Entscheidung gegen den Erwartungsdruck von außen. Eine Entscheidung, mein Leben zu leben. Für mich selbst, nicht für andere!
Dieses Gefühl hatte ich noch nie. Es ist so überwältigend und wunderschön!