Es ist 7:28 Uhr, der Zug fährt los. Jeder Sitz ist besetzt, in den Gängen stehen die Leute. Nach ein paar Minuten hält er an, manche steigen aus, andere steigen ein. Jeder geht seinem gewöhnlichen Treiben nach.
Zwei Stunden später. Die Metro schießt durch ihre Tunnel, hält an jeder Station ziemlich abrupt an und fährt genauso abrupt auch wieder los. Zwei kleine Mädchen mit ihrer Mutter, ein Skater, Omi mit Krückstock und den Tageseinkäufen im Beutel, Reisende mit Rucksack, Jogger, Geschäftsleute. Jeder hat seine Aufgabe(n) und sein Ziel, wo er/sie hin möchte.
„Ich habe keine Verpflichtung, zur Arbeit zu müssen, meine Wohnung sauberzumachen oder meine Kinder zur Arbeit zu bringen. Bin ich zu etwas nutze, wozu bin ich überhaupt hier?“
„Andere Menschen können mir so viel geben oder lehren- Was ist da nur, was ich ihnen geben kann?“
„Welchen Sinn hat mein Leben auf dieser Erde, wozu bin ich eigentlich hier?“
Fragen über Fragen kreisen in meinem Kopf. Tagein, tagaus, egal wo ich bin. Ich sehe andere und ihre Wege oder ihre (Lebens-)Aufgaben. Und gleichzeitig werden damit Zweifel an meinem Weg geweckt.
Seitdem ich mich vor einem reichlichen Jahr dazu entschieden habe, aus meinem Unglücks-Hamsterrad auszubrechen, geht es mir immer besser. Das Lebensgefühl steigt mehr & mehr und ich würde behaupten, zum allerersten Mal in meinem Leben glücklich zu sein. Doch dieser Weg entspricht nicht dem „gewöhnlichen“ Weg und ich tue keine „normalen“ Dinge. Dafür begegne ich aber vielen Menschen, die genau ihren Plan für’s Leben im Kopf haben und momentan auf dem Weg sind, diesen zu erfüllen oder Menschen, die bereits voll im Leben stehen und ihren Verpflichtungen und Aufgaben nachgehen.
Kaum einer zweifelt meinen Weg an… das passiert größtenteils in mir selbst. Ich sehe nicht den Wert, den ich eigentlich habe und stelle zu anderen ständig Abwärtsvergleiche an. Das Schlimme daran ist, dass ich erstens allgemein extrem an anderen orientiert bin und zweitens, wenn ich mich schon so oft vergleiche, ist das Ergebnis immer, dass die anderen es richtig/ besser machen und ich falsch/ schlechter bin. Damit schraube ich meinen Selbstwert und auch meine innere Stärke herunter und verliere mein Selbstvertrauen.
Auf dem Weg zu dem Ort, wo ich gerade als Freiwillige aushelfe und lebe, habe ich viel Zeit in Zug, Metro und Bussen sowie an Bahnhöfen und Terminals verbracht und dabei viele Menschen, Richtungen und Ziele gesehen. Außerdem gab es während der verschiedenen Fahrten und Wartezeiten genug Zeit zum Nachdenken, Beobachten… und natürlich auch Vergleichen und Selbstzweifeln.

Nun bin ich hier, komplett im ländlichen Raum inmitten der Berge, abgeschieden von der nächsten Zivilisation. Leben im Einklang mit der Natur, Bewusstsein, Ruhe, Körper und Seele stehen hier im Vordergrund. Es ist ein Leben, wie ich es schon immer einmal ausprobieren wollte. Doch da ich nun zur Ruhe komme, kommen all‘ meine mentalen Dämonen hervor. Sie lassen mich nachts wachliegen, bei kleinsten Worten des Gegenübers manchmal in Tränen ausbrechen… oder sie machen mich so verrückt, dass ich den Berg hinauflaufe und all‘ den Ballast ins Tal herunter brülle. Es fällt mir schwer, die Zeit mit mir selbst zu genießen, ich fühle mich ungebraucht und nutzlos. Und da diese Dämonen dauerhaft präsent sind, raucht der Kopf. Im Gehirn brennt es, weil auf den Bahnen im Vollspeed gerast wird: Wer ist schneller? Und vor allem, wer ist der Stärkste, der die Räder so richtig zum Brennen bringen kann?
Ich weiß, wo meine Schwachpunkte liegen und dass mich diese schon mein gesamtes Leben begleiten. Bewusst geworden bin ich mir dessen allerdings erst vor ca. vier Jahren. Und peu à peu Fortschritte haben vor etwa einem Jahr so richtig begonnen. Es braucht Zeit, um Dinge, die schon so lange verankert sind langfristig ins Positive zu verändern. Und wenn da manchmal noch andere Dinge sind, um die man sich kümmern muss, kann oft auch die Energie fehlen, um das Problem bewusst anzugehen.
Meine letzte Freiwilligenerfahrung hat mich sehr viel Energie gekostet. Ich hatte eine Aufgabe, wurde gebraucht, habe mein Bestes gegeben und alles dafür getan, meinen persönlichen Erwartungen gerecht zu werden. Dabei habe ich absolut alle Bedürfnisse der anderen erfüllt und mich selbst total vergessen. Ich war so davon überzeugt, dass ich das Richtige tue, dass ich absolut keinen Blick mehr für meine Kraft hatte. Und all‘ das war begründet bei den enorm hohen Ansprüchen an mich selbst, dem Vergleich mit anderen und dem Bedürfnis nach Anerkennung und Zufriedenheit der Menschen um mich herum. Und warum? Weil ich selbst an mir zweifle. Weil ich selbst oft nicht wertschätzend mit mir umgehe oder mich als wertvoll anerkennen kann. Und weil ich irgendwie vielleicht immer noch realisieren muss, dass mein Weg in Ordnung ist… und ich es auch bin.
Es tut weh, so viele unangenehme Baustellen zu erkennen. Sie alle ploppen gerade zur gleichen Zeit auf. Und doch ist es unglaublich gut, dass sie mir zeigen, was aktuell in mir brodelt. Wäre ich nicht an diesen ruhigen Ort gekommen, der (wahrscheinlich jeden Menschen) mehr in Kontakt mit sich selbst bringt, dann wäre ich mir dessen wahrscheinlich nie so intensiv bewusst geworden. Ich sehe es als Chance, in Zukunft mehr auf mich und mein Wohlbefinden zu achten. Aber vor allem möchte ich ab sofort liebevoller mit mir umgehen (besonders geistig).